Kieler Förde statt Hudson River, Landtagssessel statt Schulbank

Für drei Tage Delegierter. Statt am Freitag 8 Stunden lang in der Schule zu verweilen und sich danach aufs Wochenende zu freuen, sitzt man im Kieler Landtag. Statt am Samstag die Freizeit zu genießen, zu zocken oder sich auf abendliche Veranstaltungen zu begeben, sitzt man im Kieler Landtag.

Statt sich am Sonntag ggf. auszukurieren, sich danach noch mit Kumpels zu treffen und erst um 24 Uhr an die Hausaufgaben zu denken, sitzt man im Kieler Landtag. Tun sich all dies die über 400 Schüler, ggf. auch Studenten nur an, um einem x-beliebigen Politikplanspiel beizuwohnen?- Mitnichten!

Denn die Model United Nations Schleswig Holstein stellen nicht nur irgendeine politische Simulation dar, sondern sind die realistischste in ganz Deutschland. Sie ahmen nicht nur einen kleinen Ausschnitt aus dem politischen Geschehen oder den Gremien nach, sondern versuchen das Original, die echten United Nations eins zu eins wiederzugeben. Bevor man also, wie es oft bei anderen Simulationen der Fall ist, seine Pausenhofkonflikte einfach aufs politische Parkett verschiebt und anderen Ländern mit Krieg droht, weil man am Ende eh wieder alles getrost hinter sich lassen kann, werden bei MUN-SH Entscheidungen getroffen, die wirklich etwas bewegen, gerade deshalb aber auch umso umkämpfter sind. Hierbei unterscheiden sich auch die Mittel, um sein Ziel, die bestmögliche Vertretung seines Landes, zu erreichen, erheblich. Nicht Raketen, sondern Reden, nicht Atomwaffen, sondern Abstimmungen dominieren MUN-SH und es kommt immer wieder zu Situationen, in denen man beispielsweise 20 Minuten lang über einen Antrag auf „10-minütige informelle Sitzung“ abstimmt, nur um diesen, als sei die vorherige Situation nicht schon aberwitzig genug, dann doch abzulehnen. Doch was sich wie das Rezept für Frustration, wie die Essenz der Langeweile anhört, das macht den wahren Reiz von MUN-SH aus.

Denn jeder, der in dreitägigen Debatten kein Ärgernis sieht, sondern die Möglichkeit, ein Thema wirklich tiefgreifend zu durchdringen, jeder der wirklich aktiv mitgestalten möchte, statt nur über das bereits Geschehene nachzudenken, kurzum jeder, der bereit für Politik ist, der sieht sich bei MUN-SH in besten Händen. Ganz nebenbei stärkt man so zugleich noch seine eigenen rhetorischen und strategischen Fähigkeiten, gewinnt aber gleichzeitig auch neue Kenntnisse hinzu. So wird schon während der Debatten deutlich, warum Politiker so reden, wie sie reden, oder Lobbyismus an sich eine gute und notwendige Sache ist. Dieses Wissen wird bei Seminaren und Rednerabenden noch intensiviert bzw. ergänzt. Allerdings wird MUN-SH nicht nur von politischen Randveranstaltungen begleitet. So kann man auf Treffen wie dem Abendball oder auch dem Abschlusstreffen fernab des diplomatischen Kodexes noch sehr gut Kontakte knüpfen und die Bande der Freundschaft mit Anderen weben, oftmals sogar über Ländergrenzen hinweg. Zudem muss man auch nicht direkt beim ersten Mal die Verantwortung eines Landesdelegierten schultern, sondern kann ebenso gut als Pressevertreter Staatsaffären aufdecken, als Fernsehteam Nachrichtensendungen gestalten oder als Nichtregierungsorganisationsvertreter Delegierte mit Verweisen auf die grundlegenden Menschenrechte nerven.

Insofern kann man abschließend nur festhalten, dass MUN-SH mehr als nur lohnenswert ist und jeder Versuch, dieses Erlebnis in nur einem Schlusssatz zusammenzufassen, dieser Simulation nicht im Ansatz gerecht werden würde.

Sören Rodekirch

newspaper50  Holsteiner Courier vom 4. März 2017