Expressionistische Lyrik der 11c

Im Rahmen unserer Lyrikeinheit zum Expressionismus haben die Schülerinnen und Schüler der 11c im Deutschunterricht selbst Gedichte verfasst und reflektiert, um sich die typischen Motive und sprachlichen Gestaltungsmittel der Epoche des Expressionismus zu vergegenwärtigen.

 Besonders die Empfindungen in der Großstadt und das Gefühl der Gesellschaft, sich selbst zu verlieren bzw. vor einer Apokalypse zu stehen, wurde im Unterricht thematisiert und ist auch in den selbst verfassten Gedichten wiederzufinden. Einige dieser lyrischen Kunstwerke möchten wir hier mit euch teilen:

 

„Raus aus der Stadt“ (von Ferdinand Bonde)

Hohe Häuser und tiefe Straßen,
bis zu meinem Herzen die steigende Enge,
viele Menschen, die es verlassen,
spür ich in der erdrückenden Menge.
Sie drängt mich ein in meine kleine Welt,
in Hoffnung, dass sie irgendwann zerfällt.

Sie bildet Mensch, sie bildet Kultur,
der innige Geist kehrt nie zur Ruh.
Von Frühaufsteher bis Langzeitschläfer,
von Staatshilfennehmer bis Kittelträger,
all dies hält die Stadt zusamm‘
in seinem umarmenden Bann.

Raus aus dem Gefängnisland,
es nimmt mir meine Kräfte,
will die Mauern durchbrechen,
dem Ideal nicht entsprechen.
Die Flucht treibt mich bis zum Ortskern,
ja das weite Land ist doch so fern,

ja dahin würd ich gern.


„Das Feld“ (von Kjeld Brinkmann)

Die Welt zerfließt in Schreie,
der Tod fordert Tribut,
Krieger fallen in Reihe,
das Gras durchtränkt von Blut.

Auf der Herrschers Geheiß
die armen Söhne
wandeln mit so viel Fleiß
die Welt ins Unschöne.

Und manche Frau
oder Mutter sitzt daheim,
erlebt die Welt nur grau
oder fahl, ach, welche Pein!


„Wozu“ (von Gerda Winter)

Betrachte der Straßen Verknüpfung
Hohe Mauern, beengte Sicht
verliere mich im Abendlicht.
So fern in des Gottes Schöpfung

Zeiten rennen vor mir weg
Dunkelheit erschüttert meine Seele
Spüre Unruhe, Schrei aus voller Kehle,
diese Erde, ein einzig vergehender Fleck!

Ein Aufprall meiner Gedanken
lässt mich in der reellen Welt schwanken.
Wie lang noch? Und wohin?
Hat das alles einen Sinn?
Soll ich mich bedanken?

Der Wasserfall meiner Geduld
ertränkt die Flamme meiner Hoffnung
Das Leben als einziger Tumult
zwingt mich zur vollen Verzweiflung.


„Stadt“

Die Nacht erwacht in den Lichtern der Stadt.
Sie tobt. Sie erweckt den Lärm.
Menschen werden in die Straßen geschwemmt.
Kein Weg raus aus den Engen der Stadt.

So bin auch ich hier verwurzelt.
Erfüllt von Angst vor der Dunkelheit, der Dunkelheit in mir.
Das Herz ist schwarz. Der Atem stockt.
Es gibt keinen Weg zurück zu meiner Selbst.

 

„Grenzland“

Die Nacht in der Heimat still und klar,
im Grenzland erleuchtet und lichterloh
durch Leuchtgranaten und Feuersglut.

Ein Vogel zwitschert, doch man hört ihn kaum
Übertönt von Granaten und dem täglichen Grauen

Ein Soldat einsam nur mit seinem Gewehr
Im Grenzland gefangen ohne Wiederkehr.


„Zeitgenosse“ (von Sören Dibbern)

Reaktionäre Raffinesse, perfide Progression, infame Innovation.
Häuser hoch, High-Society höher, höchstes Gut human
Kauert klein, blau blutend egalisiert par monetärem Wahn.
Realitätsferner Rousseau, marginalisierter Marx: alt ist neu, kapitalistische Organisation.

Drei Gewalten von Beton und Kommerz verschlungen, ein Schuss administrativer Anarchie.
Zwei Straßen, eine ästhetisch riechende Laterne, manischer Verkehr schwimmt ruhig – Selbstmord,
Eins, lokal und global, da und dort, Existenz ist nah, Sein ist fort.
Null Toleranz, verbrannte Prosa, als der mächtige Mann feurige Hetze spie.

Androzentrismus vergeht in der Wirklichkeit: historischer Perfektionismus
Paraphrasiert didaktisch des Illusionierten geschichtlichen Exorzismus.
Meine Natürlichkeit ist weg. Zukunftshinterlassenschaft fremdbestimmt.

In dem Aufbegehren werde ich standardisiert
Weggeworfen, mein Herzens Wille erfriert.
Mit der Zeiten Feuer bin ich, die Moral, verglimmt.

 

„Lebensstück“ (von Jannik Rambow)

Zerstreut in Tausend Teile,
Doch ich bleib noch eine Weile

Morgengrün trotz Eiseskälte,
zwischen glasig gebroch‘nen Blicken,
die in farblosen Erinnerung’n ersticken,
Als ob irgendetwas fehlte

Sterbende Wolken über Rauchmaschinen,
Schmelztiegel, die nach Kohle miefen
Und sich zwischen Türmen aus Zuversicht und Gebet verlieren,
rein in die Straßen, die wie giftiges Gebrüh zerfließen

Dann wieder raus alles laut,
kein Mitleid, keine Rücksicht,
und die Herzlichkeit erdrückt mich,
Jeder rennt, es mangelt Zeit,
und zwischen Arroganz und Ignoranz
sucht man verloren die Substanz

Verweht, Verwehrt,
und schließlich vergessen,
war’n wir zu Beginn noch so besessen
wie ein Augenblick vergeht,
als sich unsre Welt unaufhörlich ändert,
aber nicht ein’n Moment besteht

Denn Zerstreut in Tausend Teile
bleib ich nur eine Weile.