Luken in große Geschichten: Nanogeschichten der 8c

Im Deutschunterricht haben wir uns im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Kurzgeschichten auch mit sogenannten Tiny Tales beschäftigt.
Tiny Tales wurden von dem Autor Florian Meimberg erfunden und bestehen aus höchstens 140 Zeichen.

WindowMan könnte sie auch Nanogeschichten oder Ultrakurzgeschichten nennen. Meimberg schafft es, in nur zwei bis drei Sätzen Geschichten zu erzählen, die mal spannend, mal traurig, mal erheiternd, mal kurios oder grotesk sind. Der Leser muss selbst interpretieren, wie die Geschichte anfing, bzw. endet und was sie für ihn bedeutet.

Beispiele hierfür sind etwa:
„Der Tunnelbau ging gut voran: Er musste jetzt ungefähr unter der Berliner Mauer sein. Noch etwa ein Jahr. Im November '89 würde er flüchten.“

„Claudia beäugte das Objekt. Der greise Antiquar lächelte. „Damit haben die Menschen vor dem Krieg kommuniziert. Es hieß Handy.“

Zunächst haben wir diese Geschichten „vergrößert“. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist folgende Geschichte, die aus der Handy-Tiny-Tale entstand:

Auf der Suche nach Ideen

„Damit haben die Menschen vor dem Krieg kommuniziert. Es hieß Handy.", erklärte der alte, freundlich lächelnde Antiquar. Oh ja, und ob Claudia wusste, dass dieses Ding dort Handy hieß. Ein spitzbübisches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, ehe sie sich zu ihm umdrehte. „Was wissen Sie noch über den Krieg, werter Herr?" „Pff.. Ich war n' junger Kerl damals gewesen, konnte gerade laufen, als es begann.", erzählte er und fasste sich in den grauen etwas zerzausten Bart. „An das Gerät kann ich mich leider nicht erinnern, tut mir leid. Aber ich weiß noch, dass es wegen einer tödlichen Krankheit gewesen war. So n' Zombieding." Während sie ihm aufmerksam zuhörte und sich das ein oder andere Mal fragte, ob sie diese Krankheit noch miterleben würde, hatte sie das Handy in die Hand genommen und versucht, es anzuschalten. „Ich gebe Ihnen fünfundzwanzig Pfund.", sagte sie, da sie langsam Zeitdruck bekam. Schließlich wartete jemand an der Tür auf sie, wie sie mit einem kurzen Blick in Richtung Ausgang feststellte. Der alte Mann wirkte überfragt, kratzte sich an der Stirn und wollte etwas erwidern, da war Claudia schon verschwunden. Das Einzige, was auf ihre Existenz hinwies, war der Duft von teurem Parfum, welcher sich nun ausbreitete. Und während der Mann verblüfft und wie bestellt und nicht abgeholt zurückblieb, fiel Claudia fröhlich in Seths Arme. „Seth, ich dachte schon, du hättest mich hier alleine zurückgelassen.", sagte Claudia neckend. Lachend schüttelte Seth den Kopf. „Wie könnte ich nur?", erwiderte er stolz und entblößte somit seine weißen, nahezu perfekten Zähne. „Dich alleine im Jahr 2154 zu lassen wäre wohl ein Skandal. Lass uns langsam nach Hause, oder was meinst du?" „Unbedingt.", stimmte Claudia erleichtert zu. „Du glaubst nicht, was der Typ mir erzählt hat.." Und somit verschwanden sie hinter die Ecke, verschwanden aus dem Jahr, zurück nach London 2022. Denn eigentlich, ja eigentlich, waren sie nicht mehr als zwei Autoren, auf der Suche nach neuen Ideen.
(Emma Rohwer)

Im Anschluss haben wir selbst Ultrakurzgeschichten mit einem Umfang von genau 50 Wörtern formuliert und eine Collage und eine Vertonung hierzu erarbeitet, um der Geschichte noch mehr Dimensionen zu geben. Viele unserer Geschichten haben einen überraschenden Wendepunkt:

Mira bekam Angst. Sie hörte Schritte auf dem zugeschneiten Dach und die Alarmanlage ging los. Es hörte sich so an, als würde jemand durch den Kamin kommen. Am nächsten Morgen standen Geschenke vor dem Tannenbaum. (Carlotta Grümmer)

Sie schrie ihn an, im nächsten Moment zerbrachen ihre Worte, ihre Augen rot angeschwollen mit dicken Tränensäcken darunter, das Lid von Mascara verschmiert, sie glitt in den nassen Schnee, ihre Tränen tropften auf ihre kalten Hände, mit denen sie sich festkrallte.
„Klappe zu, großartig ihr zwei - kurze Pause für euch!“ (Kim Weichler)

Alles wackelte. „Mayday, Mayday, wir stürzen ab!", rief Kayla panisch und drückte an den Tasten wild herum.
Doch es war zu spät und alles wurde dunkel.
Ehe sie sich versah, öffnete sich die Tür der Kabine. „Beim nächsten Mal im Simulator schaffst du es bestimmt!" (Emma Rohwer)

Sarah und Lea liefen ins Wasser. Lea wurde kalt und ging an Land, auf einmal hörte sie einen lauten Schrei, sie drehte sich um, dort wo eben noch ihre Freundin stand, verteilte sich nun langsam Blut im Wasser.
Der Bildschirm wurde schwarz und das Licht im Kinosaal ging wieder an. (Jule Mehrens)

Andere unserer Minisagas laden zu Spekulationen und unterschiedlichen Interpretationen ein:

Angeekelt blicke ich in den großen Spiegel, ziehe gekonnt meinen blutroten Lippenstift nach und fahre mir anschließend durch die schwarzen, hüftlangen Haare.
Während ich die wertvollen Dokumente in meiner dunklen und ziemlich teuren Anzugjacke verstaue, verlasse ich mit sicheren Schritten die Villa, ohne auf dem nassen, roten Boden auszurutschen. (Jonna Willers)  

Er tauchte ein in das kühle klare Nass. Das Wasser prickelte an seinem Körper, feine Luftbläschen stiegen von unten nach oben und zerplatzen an der Oberfläche. Plötzlich kippte die Welt in die Horizontale und er wurde zur einzigen Öffnung des Pools gespült.
Ein Mund schloss sich darum und nahm einen großen Schluck. (Alba Kahle)

Es war ein interessantes Projekt, das uns verdeutlichte, wie entscheidend jedes Wort für die Bedeutung von Texten ist und wie leicht man sich von der Erzählperspektive in seiner Wahrnehmung leiten lässt.