Heute am 11.01.2023 haben wir die Exkursion zur KZ Gedenkstätte Neuengamme nachgeholt, die man eigentlich schon in der 11. Klasse absolviert. Durch Corona musste das aber leider verschoben werden. Für manche war es heute der erste Besuch einer solchen Gedenkstätte, für andere bereits ein zweiter.
Ein Jahr zuvor konnte man nämlich freiwillig an der Krakau-Fahrt teilnehmen, die die Möglichkeit bot, nicht nur die polnische Stadt Krakau kennenzulernen, sondern auch das größte Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau zu besichtigen. Ein Bericht dazu kann auch auf der Homepage der AHS gefunden werden.
Das KZ-Neuengamme ist dabei das größte in Norddeutschland, in welchem mehr als 100.000 Menschen aus ganz Europa inhaftiert wurden. Die gewaltige Menge kommt daher, dass es neben dem „Hauptlager“ über 85 „Außenlager“ gab.
Im Gegensatz zu Auschwitz, wo hauptsächlich der Genozid an den Juden stattfand, ist Neuengamme ein Arbeitslager. Tatsächlich sind wenig bis gar keine Juden in diesem Arbeitslager gewesen, sondern vor allem waren es sowjetische Soldaten, Homosexuelle, Sinti und Roma oder die sogenannten „Asozialen“ mussten dort arbeiten und wurden so unmenschlich ausgenutzt. Obwohl es dort keine Gaskammern gab, haben nur wenig Häftlinge länger als zwei bis drei Monate überlebt. Das liegt daran, dass sowohl die Hygienesituation, als auch die medizinische- und die Lebensmittelversorgung katastrophal waren. Die zu verrichtende Arbeit war in erster Linie das Ausgraben von Ton, welcher im selben KZ zu Klinkerziegel gebrannt wurde. Durch das Vorkommen von Ton hier, fiel die Wahl des Ortes auf Neuengamme.
In der Schlussphase des zweiten Weltkrieges fanden auch in Neuengamme die Todesmärsche statt. Die meisten Häftlinge wurden im Zuge der „Räumungsaktionen“ der SS-Wachmannschaften aufgefordert nach Lübeck zu marschieren, welches für den Großteil der entkräfteten Zwangsarbeiter den Tod bedeutete. Nur 400 Häftlinge wurden einbehalten. Jene hatten die Aufgabe alle Dokumente zu zerstören, um Konsequenzen für die Gräueltaten des von den Alliierten besiegten Nazi-Regimes zu vermeiden. Die Häftlinge versuchten dabei möglichst wenig Dokumente zu löschen, welches die Gedenkstätte überhaupt erst ermöglichte.
Die Fahrt nach Neuengamme dauerte ungefähr zwei Stunden, weswegen wir gegen 10 Uhr eintrafen. Wie für Konzentrationslager üblich, befand sich das KZ sehr abgelegen. Des Weiteren fanden wir auch die länglichen, typischen Ziegelhäuser vor, in denen die Inhaftierten unterkamen. Nachdem wir durch das Tor eingetreten sind, sahen wir auch viele in Reih und Glied gehaltene Steine. Wie unser freundlicher Tourguide erklärte, standen überall da, wo jetzt die Steine stehen, Holzhütten. Dort wurden ebenfalls Häftlinge untergebracht.
Unser Guide erklärte uns neben den ehemaligen Funktionen für die einzelnen Gebäude auch harte Fakten und Einzelschicksale. Dabei sind es gerade die Einzelschicksale, die einem sehr nahegehen.
Sie erzählte beispielsweise von einem Insassen namens Fritz Bringmann, welcher die Aufgabe hatte fünf sowjetischen Soldaten hinzurichten. Allerdings hat dieser sich geweigert und wurde dafür von der SS malträtiert. Die Soldaten jedoch zeigten sich sehr dankbar, indem sie Bringmann vor ihrer Deportation in ein anderes KZ ein heimlich geschnitztes Herz aus Holz schenkten, welches einen großen Wert für ihn darstellte. Später tauschte dieser dieses Herz geheim gegen einen Apfel, um den immerwährenden Hunger zu stillen. Bringmann überlebte als einer der wenigen die Zeit im KZ und engagierte sich fortan für das Erinnern an die schrecklichen Taten der Nationalsozialisten an Schulen und in anderen Institutionen. Durch einen unglaublichen Zufall kam es in einer Vorstellung dazu, dass ein Teilnehmer genau dieses Holzherz dabeihatte und Bringmann es tatsächlich wiedersehen konnte. Mittlerweile ist dieses Herz in der Ausstellung des KZ‘s unterbracht.
Als nächstes hatten wir die Gelegenheit uns selber in der Ausstellung umzusehen und eigene Eindrücke zu sammeln. Direkt nach Eintritt konnte man eine große Karte betrachten, auf welcher alle Konzentrationslager in Deutschland verzeichnet waren. Ich denke, dass man schnell unterschätzt, wie viele Konzentrationslager es überhaupt gab: Es waren fast 1000 in ganz Europa.
Im Wesentlichen bestand die Ausstellung aus den Krankheiten und der Hygienesituation der Häftlinge, deren Alltag und das Essen, die Arbeit oder der Widerstand gegen die Aufseher. Da es zu viele Missstände gibt, ist es fast unmöglich alle zu nennen. Um jedenfalls ein paar zu nennen kann gesagt werden, dass Wunden mit Papier behandelt wurde, welches oft für eine Verschlimmerung der Wunde führte oder dass die Nahrung sich unter dem Lebensminimum befindet. Neben einem halben Liter Ersatzkaffee, einer dünnen Mittagssuppe gab es nur 300g Brot mit höchstens einer Scheibe Wurst oder Käse. Ab 1943, als sich der Krieg drehte und die Deutschen zu verlieren begannen, wurde aufgrund der Ausrufung des “totalen Krieges“ die Rationierung des Essens noch weiter verringert. Konkret bedeutete das beispielswiese, dass nur noch eine Scheibe Brot abends verteilt wurde. An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie es die Menschen überhaupt geschafft haben, zwei Monate zu überleben. Innerhalb der Ausstellung gab es auch viele kleine Portfolios, in denen die Leben von einzelnen Personen dargestellt werden. Ein bestimmtes Leben fiel dabei besonders auf, denn derjenige Mann ist zuerst in das KZ-Auschwitz, dann in das KZ-Sachsenhausen und zuletzt in das KZ-Neuengamme deportiert worden. Dabei überlebte er nicht nur alle drei Konzentrationslager, sondern auch einen Durchschuss in der Brust sowie viele Brüche und weitere Verletzungen. Da kein Todesdatum angegeben war, ist davon auszugehen, dass diese Person entweder erst in den letzten Jahren gestorben ist oder sogar noch lebt. Das Leid, dass dieser Mensch, selbstverständlich auch alle anderen Häftlinge erleben mussten, ist unvorstellbar. Es war der pure und eiserne Wille der verzweifelten Menschen, der sie am Leben hielt. Auf einer Wand stand: Man konnte ihnen den Tod aus den Augen scheinen sehen.
Besonders fassungslos war ich auch, als ich mich über die Schonungslager informierte. Schonen war hier allerdings vollkommen unangebracht, denn entgegen jedem rationalen Denken wurden die Menschen hierher gebracht und sich selbst überlassen, welches in den allermeisten Fällen den Tod bedeutete. Hinzu kommt die noch stärker eingeschränkte Nahrungsration, die schon bald nicht mehr zu kürzen war.
Danach gingen wir noch auf eine Wiese, die den Blick auf das E-förmige Klinkerwerk ermöglichte. Da wurden die Ziegel im großen Stil aus dem ausgegrabenen Ton gebrannt. Von den drei Flügeln sind nur zwei betretbar, zumal einer für Konzertzwecke regelmäßig verliehen wird. Obwohl es zunächst äußerst unpassend erscheint, ermöglicht es jedoch vielleicht Besucher anzulocken, die sich so erstmalig mit der Konzentrationslagerthematik auseinandersetzen und die große Bedeutung dahinter verstehen. Tatsächlich wurde nur drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auf derselben Fläche die Justizvollzugsanstalt Vierlande gebaut, die bis 2006 aktiv war und dann aufgrund der Lage abgerissen wurde. Ein paar wenige Mauerstücke wurden nicht entfernt und stehen noch auf der Fläche.Nach der Führung sind wir wieder mit den Bussen zurückgefahren und waren gegen 15:30 wieder in Einfeld.Es ist unvorstellbar, welches furchtbare Leben die Insassen führen mussten. Dieses Konzentrationslager hat, wie das KZ-Auschwitz auch, gezeigt, zu welchen Taten der Mensch fähig ist. Dass er es fertig bringen kann, einen anderen Menschen bis zu seinem Tod ununterbrochen zu quälen, kann ich nicht nachvollziehen. Die Position als SS-Wachmann bot zum einen natürlich vielen Menschen eine Karrieremöglichkeit oder die Option, den Dienst an der Front zu vermeiden. Zum anderen haben allerdings auch gescheiterte Menschen die Möglichkeit erhalten, ihren Hass über ihr eigenes Leben auf unschuldige Häftlinge zu projizieren. Machtmissbrauch war somit ein tagtägliches Problem.Es ist nicht unsere Schuld, dass der Holocaust und der zweite Weltkrieg, welcher Millionen Todesopfer forderte, passiert ist. Aber es ist unsere Pflicht, die Erinnerung wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass dies nie wieder passiert. Sich in Ansätzen gewahr zu werden, was das bedeutet, in einem Konzentrationslager tatsächlich inhaftiert zu sein, ist dabei der erste Schritt in eine Zukunft, in der sowas kein nächstes Mal passiert.
Max Reuter